TÄUFERGESCHICHTE

Bild: Filmszene „Winterflucht“

Die Welt des frühen 16.Jahrhunderts war in mehrfacher Hinsicht spannend und spannungsgeladen: Der Frühkapitalismus trieb die Bauern in einen verzweifelten Aufstand, die Türken bedrohten Europa von außen und die Kirche, von der man sich geistliche Orientierung erhoffte, war äußerst reformbedürftig. Unzufriedenheit und Unsicherheit fordern auch uns heraus, denn unsere Fragen sind bestenfalls oberflächlich anders: Eine Welt die in arm und reich, Freund und Feind und Wahrheit und Irrtum gespalten ist, fordert von uns tiefgreifende und wahrscheinlich sogar radikale Antworten.

Die Täufer – Was war das für eine Bewegung? Wer sind die Ahnherren jener seltsam anderen Glaubensgruppen, die in den USA und Kanada in Form der Amish-People, Hutterer und Mennoniten überlebt haben, deren Missionare im 20. Jahrhundert den Weg zurück nach Europa – ihrer ursprünglichen Heimat gefunden haben?

Sie kamen zum Teil direkt aus der Bauernkriegsbewegung, waren unzufrieden mit der Situation der Kirche und anfangs sogar enge Vertraute der Reformatoren. Als strikte Pazifisten hatten sie ganz andere Überlegungen zur Türkengefahr. Die Reformatoren Martin Luther und Huldrych Zwingli arbeiteten in enger Verbindung mit den Fürsten und Obrigkeiten. Dieses Zusammenwirken von Glaube und Politik führte jedoch zu Kompromissen und verzerrte so manchen Aspekt der Botschaft Jesu. Luther befürwortete die brutale Niederschlagung der Bauern, der Züricher Reformator Zwingli starb als Feldkaplan in den schweizer Reformationskriegen. Johannes Calvin ließ in Genf Andersdenkende verhaften und sogar verbrennen. Zuletzt führte die Vermischung von Glaube und Politik in den dreißigjährigen Krieg.

Die Vertrauten Zwinglis – Konrad Grebel und Felix Mantz – erkannten in all den Fragen jener Zeit, dass Gerechtigkeit aus der Liebe des Einzelnen kommen muss, aber nicht verordnet werden kann. Weiters, dass die Liebe zur Wahrheit nicht erzwungen werden kann, sondern aus einem freiwilligen Glauben Gott gegenüber erwächst. Hatte Zwingli bereits Bedenken gegenüber der Kindertaufe geäußert, sie aber aufgrund des Vetos der Stadtregierung wieder fallengelassen, machten sie genau an dieser Frage ihren Protest fest: Die Taufe sei der Ausdruck einer persönlichen Entscheidung, dem Evangelium von Jesus Christus zu glauben und einen – wie sie sagten – in der Liebe tätigen Glauben erlernen zu wollen. Die Kindertaufe findet in der Bibel keine Grundlage.

„Christus zwingt niemand zu Seiner Herrlichkeit“, formulierte Felix Mantz. Er wurde unter Zustimmung Zwinglis 1527 zum Tod durch Ertränken verurteilt.


Kritik an der Reformation – Von der Besserung des Lebens

Caspar Braitmichel, der Chronist der Hutterischen Brüder, fasst die täuferische Kritik an der Reformation bündig zusammen:
„Diese beide, Luther und Zwingel, haben alle Tück und Büberei der päpstlichen Heiligkeit eröffnet und an den Tag herfür gebracht, gleich als wenn sie’s mit Donnerschlägen alles zu Boden wollten schlagen; aber dagegen kein Besseres aufgericht. Sondern alsbald sie sich an den weltlichen Gewalt gehängt, auf menschliche Hilf vertröstet, ist es mit ihnen nicht anders geworden, als ob einer einen alten Kessel flickt, das Loch nur ärger wird; und haben ein ganz frech Volk zu sündigen erzogen und hinter ihnen gelassen. Gleichnisweis zu reden, dem Papst den Krug aus der Hand geschlagen, die Scherben selbst darinnen behalten.“

Braitmichel fragt nach der guten Frucht der Reformation und stellt fest:
„Kein Besserung des Lebens ward bei ihnen gar nicht gespüret, sondern ein stolz aufgeblasen Wissen. Andere zu verachten, Fleischessen, Weibernehmen, Papst, Mönch und Pfaffen (wie sie es denn wohl verdient haben!) ausschelten, war ihr höchster Gottesdienst.“
Die Reformation hatte viele äußere Missstände beseitigt: Der Gottesdienst wurde in deutsch gefeiert, die Bibel wurde übersetzt, die Predigt stand mehr im Mittelpunkt –jedoch wurde in der Bevölkerung allgemein die Reformation mit einem spöttischen Sprichwort bedacht, das Braitmichels Kritik bestätigt: „Glaube fest und sündige wacker!“

Die Reformatoren haben versucht, die Scherben des Kruges zu behalten, den sie dem Papst aus der Hand geschlagen haben. Doch genau dieser Krug, die äußere Form des Christentums, war das Problem! Konrad Grebel schrieb in einem Brief:
„Die Schrift beschreibt uns die Taufe als ein Zeichen dafür, dass für den Getauften, der seinen Sinn ändert und vorher und nachher glaubt, dass die Sünden durch den Glauben und das Blut Christi abgewaschen sind; ein Zeichen dafür, dass man der Sünde abgestorben ist und abgestorben sein soll, dass man durch die innere Taufe dem eigentlichen Sinn des Glaubens nachlebt.“

An der biblischen Taufe wird deutlich, dass der christliche Glaube keine Volksreligion sein kann. Darum genügt es nicht, Theologie oder äußere Formen zu reformieren. Es geht um den einzelnen Menschen. Trifft die Kritik der Täufer heute nicht ebenso zu? Warum gibt es soviel Sünde und Schmutz im „christlichen Abendland“? Warum soviel Aberglaube? Warum noch Armut? Ein ganz wichtiger Bestandteil der täuferischen Predigten war deshalb das Gericht Gottes, vor dem sich jeder Mensch persönlich verantworten muss – auch als Drohbotschaft, doch mehr noch als Aufruf, sich selbstkritisch zu hinterfragen.


Bruch mit der Reformation – Die erste Taufe

Caspar Braitmichel bringt die Freiwilligkeit des Glaubens auf den Punkt:
„So ist der Glaube nicht zu erzwingen, sondern eine Gabe Gottes. Und Christus spricht zu Seinem Jünger: Will mir jemand nachfolgen (seht, so jemand will und Lust hat!), der verleugne sich selbst und nehm sein Kreuz auf sich.“

Wenn aber der Glaube nicht jedermanns Sache sei, dann kann die Kirche auch nicht eine Kirche des Herrn Jedermann sein, sondern nur eine Gemeinschaft derer, die Christus freiwillig nachfolgen wollen. So kam es am 21. Jänner 1525 zu einer folgenschweren Entscheidung. Einige Schüler Zwinglis – Konrad Grebel und Felix Mantz – vollzogen in Zürich die erste Taufe. In der Hutterer- Chronik wird uns dieses Ereignis beschrieben:
„Geörg vom Haus Jakob – genannt Blaurock – ist … zu ihnen kommen, nämlich zum Konrad Grebel und Felix Mantzen, und hat mit ihnen geredt und sich erspracht Glaubenssachen halb. Seind auch der Sachen eins wurden miteinander und haben in reiner Furcht Gottes erkennt und befunden, dass man aus göttlichem Wort und Predigt ein rechten, in der Lieb tätigen Glauben müsst erlernen und auf den erkannten und bekannten Glauben den recht christlichen Tauf, in Verbindung mit Gott, eines guten Gewissens empfangen, in aller Gottseligkeit eines heiligen christlichen Lebens hinfüran Gott zu dienen, auch in Trübsal beständig zu bleiben bis ans Ende.

Und es hat sich begeben, dass sie sein beieinander gewesen, bis die Angst anging und auf sie kam, ja in ihren Herzen gedrungen wurden; da haben sie angefangen, ihre Knie zu beugen vor dem höchsten Gott im Himmel und ihn angerüft als ein Herzenskundigen und gebeten, dass Er ihnen wollt geben zu tun Seinen göttlichen Willen und dass er ihnen Barmherzigkeit wollt beweisen. Denn Fleisch und Blut oder menschlicher Fürwitz hat sie gar nicht getrieben, weil sie wohl gewisst, was sie darüber werden dulden und leiden müssen.

Nach dem Gebet ist der Geörg vom Haus Jakob aufgestanden und hat um Gottes Willen gebeten den Konrad Grebel, dass er ihn wöll taufen mit dem rechten christlichen Tauf auf seinen Glauben und Erkanntnis. Und da er niedergekniet mit solchem Bitt und Begehren, hat der Konrad ihn getauft, weil dazumal sonst kein verordneter Diener, solches Werk zu handlen, war. Wie nun das geschehen, haben die andern gleichweis an den Geörgen begehrt, dass er sie taufen soll. Welches er auf ihr Begehren auch also tät; und haben sich also in hoher Furcht Gottes miteinander an den Namen des Herrn ergeben, einer den anderen zum Dienst des Evangelii bestätigt und angefangen, den Glauben zu lehren und zu halten. Damit ist die Absonderung von der Welt und ihren bösen Werken anbrochen.“

Bis dahin genossen die Schüler Zwinglis relativ viel religiöse Freiheit, weil sie unter dem Schutz ihres Lehrmeisters und dadurch des Magistrates der Stadt standen. Mit der Taufe brachen sie aus dem geschützten Raum aus. Nun mussten sie ihr ganzes Vertrauen auf Gottes Führung setzen. Hat Er sie nicht erwählt und berufen? Wie könnte Er sie wieder fallen lassen?


Die Wiedergeburt – Vorraussetzung zur Besserung des Lebens

Das Ziel war, es besser und richtiger zu machen als die Reformatoren. Ist das nicht ein vermessenes Anliegen? Ihr Hauptvorwurf war ja, dass man – im ganzen gesehen – bei den Lutheranern und Zwinglianern keine Besserung des Lebens feststellen konnte. Eher im Gegenteil! Können diese jungen Männer – alle Ende 20, Anfang 30! – es tatsächlich besser?

Hans Schlaffer, ein ehemaliger Priester, der 1528 in Schwaz in Tirol als Täufer hingerichtet wurde, bekannte sehr selbstkritisch in einem Lied:

Wiewohl ich noch empfind Anstoß / von Sünden groß. In meinem Fleisch sich übet.
Das Gut’ ich nicht vollbringen kann. / Das bös’ Verlang’n Das mich so hart betrübet.
Darum schrei laut ich arme Haut
Aus Herzens Gier, wer wird mich schier
Erlösen aus des Jammers Strauß / Und helfen aus dem Totenhaus?“


Sie waren doch Menschen wie wir alle, fehlerhaft und schwach – aber (und das trifft nicht mehr auf jeden zu!) mutig genug, sich das auch einzugestehen. Dieses Bekennen der eigenen Schuld und Sündhaftigkeit ist der Hauptpunkt täuferischer Verkündigung. Doch dabei bleibt sie nicht stehen. Aus der Verzweiflung über die Sünde wird der Ausweg des Evangeliums gezeigt. Menno Simons, ein norddeutscher Täufer, gibt ein sehr schönes Beispiel dafür:

„Dies Evangelium ist eine freudenreiche Botschaft von Gottes Gunst und Gnade gegenüber uns und von der Vergebung unserer Sünden durch Christus Jesus. Das nimmt der Glaube an durch den Heiligen Geist und sieht nicht auf seine frühere Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, sondern er hofft auf die Dinge, die nicht zu hoffen sind (Röm 4,18), und wirft sich mit vollem Herzen auf des Herrn Gnade, Worte und Verheißung, weil er wohl weiß, dass Gott wahrhaftig ist und in Seiner Verheißung nicht fehlgehen kann (Röm 3,4; Tit 1). Dadurch wird das Herz erneuert und bekehrt, gerechtfertigt fromm, friedlich und fröhlich. Ein Kind Gottes wird geboren. Es geht mit vollem Vertrauen zu dem Thron der Gnaden (Heb 4,11) und wird so ein Mitgenosse Christi und des ewigen Lebens.“

Ein Kind Gottes wird geboren! Das Herz wird erneuert – das ist die Antwort des Evangeliums auf unser Versagen. Kommt die „frohe Botschaft“ zuerst noch bitter und anklagend an unser Ohr, will sie doch zur Freude des befreiten Gewissens führen. Diese aber ist nicht ohne Umkehr zu erlangen. Gott selbst aber beginnt nun, ein Neues Leben in uns zu schaffen, zu formen und zu vollenden. Die Besserung des Lebens ist also Sein Wirken an Seinen durch den Glauben neugeborenen Kindern. Sie ist in jeder Hinsicht ein Wunder!


Vorbild statt Rebellion – Gemeinschaft

Damals wie heute ist die Spannung zwischen Armen und Reichen explosiv. Sie entlud sich in den Bauernkriegen, später in Arbeiteraufständen und man muss sich vor Augen halten, dass der globalisierte Neoliberalismus unserer Tage ebenso in verzweifelte Gewalt und Terror münden kann. Was war die Antwort der Täufer auf die drückenden Fragen dieser Zeit? War ihr Glaube nicht zu jenseitig ausgerichtet, um davon überhaupt betroffen zu sein?
Ihre Alternative hängt überraschenderweise mit ihrem Kirchenverständnis zusammen. Kirche als Gemeinde, als Gemeinschaft. Unabhängig davon wie Macht- und Besitzverhältnisse in der Welt aussehen: In der Gemeinde herrscht Brüderlichkeit und gegenseitiger Beistand in der
Liebe. Das machen schon ihre ältesten Gemeindeordnungen klar.

In einer Schweizer Anweisung aus dem Jahr 1529 heißt es:
„Zum vierten soll ein jeglicher Bruder und Schwester sich der Gemeinde ganz und gar, mit Leib und Leben in Gott ergeben, und alle von Gott empfangenen Gaben gemeinsam haben.“

Die Täufer wählten in der Folge zwei verschiedene Wege: Leopold Scharnschlager, Vorsteher der Gemeinde in Straßburg, lehrte in der Gemeinschaft strikte Freiwilligkeit, was er wie folgt begründet:
„Weil das Vorbild der ersten Gemeinde zu Jerusalem bei etlichen missverstanden wird, … etliche daraus ein Gesetz, einen Zwang, Strick oder gar fleischliche Gerechtigkeit, Forderung und dergleichen machen – darum sollen wir erkennen, dass es bei jener ersten Gemeinde zu Jerusalem freiwillig zugegangen ist. … Und wir sollen ebenso in rechter apostolischer Art danach trachten, dass die Braut und Herde Christi nicht gezwungen, sondern freiwillig geführt und geweidet werde.“

Die aus Tirol vertriebenen Täufer – heimat- und besitzlos durch die Verfolgung – gingen den Weg in die verbindliche Gütergemeinschaft, die sie bis heute leben. Peter Riedemann führt das in Seiner Rechenschaft des Hutterischen Glaubens um 1550 so aus:
„Dieweil nun alle Gaben Gottes, nicht allein die geistlichen, sondern auch die zeitlichen den Menschen darum gegeben sind, dass er es nicht für sich selbst oder allein haben soll, sondern mit allen seinen Genossen, so ist nun der Heiligen Gemeinschaft nicht allein im Geistlichen, sondern auch im Zeitlichen zu beweisen, auf dass – wie Paulus sagt – nicht einer Überfluss und der andere Mangel habe.“

Die Täufer gründeten also – auf freiwilliger Basis oder verbindlich – eine Gegengesellschaft zur bestehenden Welt, ein lebendiges Beispiel, dass es auch anders gehen kann als der „freie Markt“ es uns vorgaukelt. Eine Gemeinschaft ohne Ausbeutung, Armut, Standesunterschiede und Einsamkeit. Geformt durch die gemeinsame Liebe zu Gott und zueinander. Eine Utopie? Nein, gelebte Wirklichkeit seit den Tagen der Apostel. Mal durch Verfolgung zerstreut, mal erkaltet und erstarrt, aber immer wieder neu entflammt durch denselben Geist.


Nachfolge und Kreuz

Die Reformation begann für die Täufer mit dem Ruf zur Umkehr. Sie hatte also zuallererst mit der persönlichen Entscheidung zu tun, Christus nachzufolgen. Der Glaube muss sichtbar sein und Früchte tragen, er muss aufrecht und beständig sein, treu und geprägt von der Liebe Christi. Das sind sehr hohe Ansprüche, doch es sind genau jene Ansprüche, die Jesus Christus an Seine Nachfolger zu allen Zeiten stellt:
„Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.“ (Lukas 9,23)

Diese Worte klingen in den Ohren der Party- und Freizeitgesellschaft ebenso so unmöglich, wie zur Zeit Jesu selbst. Christ zu werden ist ein markanter, tiefer Einschnitt in der Biografie eines Menschen. Als Christ zu leben ist eine tägliche Übung, dem inneren Drang zur Selbstverwöhnung und Selbstverwirklichung zu widerstehen, um den Charakter Christi zur Entfaltung zu bringen. Die Täufer fielen durch ihren Lebenswandel so positiv auf, dass man ihnen zuhörte, auch wenn es gefährlich geworden war, ihnen offen Sympathie zu zeigen.

Die Bewegung breitete sich dementsprechend rasch aus, so dass die Nachfolge Christi – das Kreuz – neben der bildlichen Bedeutung bald die wörtlichste Auslegung erfuhr: Wer Christus nachfolgt, wird wie Er verfolgt werden, aber auch da hatten jene bibelfesten Christen in ihrer Misere das Wort Gottes auf ihrer Seite. Paulus schreibt:
„Und alle, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, werden Verfolgung erleiden.“ (2.Timotheus 3,12)

Der Lebensstil (!) zieht Verfolgung auf sich, denn er ist die handfesteste und unwiderlegbarste Predigt. Über Lehrfragen kann und wird man immer wieder streiten, aber ein christliches Leben in der Liebe Gottes ist über jede Kritik erhaben.
Ihr Lebensstil, ihre abgesonderte Gemeinde, ihre unerschrockene Predigt – all das hielt dem „christlichen Abendland“ den Spiegel vor. Offenbar konnte es diesen Anblick nicht ertragen und reagierte mit furchtbarer Wut. Man muss verstehen, dass die Täufer mit ihrer Radikalität die gesamte Gesellschaft infrage stellten.

Menschen, die Gott in allen Bereichen des Lebens gehorsam sein wollen, sind zwar ein Segen für die Welt, aber – und das ist für die Mächtigen schwer zu verkraften – nicht mehr manipulierbar und deshalb nur bedingt regierbar. Die Verfolgung, die die Täufer traf, war über die Maßen hart und effizient.
Aber weil sie es gelernt hatten, sich selbst zu verleugnen und täglich das Kreuz auf sich zu nehmen, konnten sie auch das Kreuz der Verfolgung tragen.


Feuer, Wasser oder Schwert

Der Rat von Zürich beschloss am 7.März 1526:
„Darum ergeht jetzt unserer genannten Herren ernstliches Gebot, Geheiß und Warnung, dass, ob in der Stadt oder in den ihnen unterstellten Gebieten fernerhin niemand, es seien Männer, Frauen oder Mädchen den andern wiedertaufen darf. Denn wer so weiterhin den andern taufen würde, den würden unsere Herren ergreifen und nach ihrem jetzt beschlossenen Urteil ohne alle Gnade ertränken lassen.“

Der Habsburger Kaiser Karl V. erließ am zweiten Speyrer Reichstag eine harte Verordnung gegen die Wiedertäufer, die sie im ganzen Reich für vogelfrei erklärte. Es gab kaum einen Flecken in Europa, wo sie ihren Glauben frei leben durften. Sie hatten die Schweizer Reformierten gegen sich, das gesamte katholische Habsburgerreich, ja selbst in vielen lutherischen Gegenden wurden sie verfolgt und getötet. Die Chronik der Hutterer liest sich stellenweise wie ein Frontbericht:
„Den obgemeldten Felix Mantz, den hat man in Zürich ertränkt um des wahren Glaubens und Tauf willen, hat also beständiglich mit seinem Leib und Leben die Wahrheit fein bezeugt. Nachmals Wolfgang Ule, den hat man zu Walza auch im Schweizer Land, mit Feuer verbrennt und hingericht, selbst elfter, sonderlich seine Brüder und die seine Gefährten waren. Bezeugeten also mannlich und ritterlich mit ihrem Leib und Leben bis inn Tod, dass ihr Glauben und Tauf aus der göttlichen Wahrheit gegründet wär. Auch Melchior Veit, der des Geörgen vom Haus Jakob oder Blaurocks Gefährt ist gewesen, ward zu Etach um des Glaubens willen verbrennt und hingericht. Also hat es sich durch Verfolgung und viel Trübsal ausgebreitet, die Gemein täglich gemehrt und des Herrn Volk bald zugenommen.“

Die Verfolgungen trugen maßgeblich zur rasanten Ausbreitung der Bewegung bei. Innerhalb weniger Jahre war der ganze süddeutsche Raum erfasst. Innerhalb von nicht einmal fünf Jahren waren fast alle prägenden Personen der Anfangszeit verhaftet, verhört, gefoltert und hingerichtet. Jörg Blaurock in Tirol, Balthasar Hubmayer in Wien, Hans Hut in Augsburg, Jakob Huter in Innsbruck. Michael Sattler verfasste eine bis heute prägende Gemeindeordnung: die Schleitheimer Artikel. Auch ihn ereilte dasselbe Schicksal.

Im Verhör beantwortete er auch die Frage, wie ein Christ auf die Türkengefahr reagieren soll:
„Wenn der Türke kommt, soll man ihm keinen Widerstand leisten. Denn es steht geschrieben: Du sollst nicht töten. Wir sollen uns des Türken und anderer Verfolger nicht erwehren, sondern in strengem Gebet zu Gott anhalten, dass Er wehre und Widerstand leiste. Dass ich aber gesagt habe: Wenn Kriegführen recht wäre, wollt ich lieber gegen die angeblichen Christen ziehen, welche die frommen Christen verfolgen, fangen und töten, als gegen die Türken, das hat folgenden Grund: Der Türke ist ein rechter Türke und weiß vom christlichen Glauben nichts; Er ist ein Türke nach dem Fleische. Ihr dagegen wollt Christen sein, rühmt euch Christi, verfolgt aber die frommen Zeugen Christi und seid Türken nach dem Geist.“


Die Leiden der Schwestern

Bis jetzt war ausschließlich von Männern die Rede, aber die Verfolgung traf „Brüder“ und „Schwestern“ – wie sie einander nannten – gleich schwer. Vielleicht war das Leid der Schwestern sogar größer, obwohl sie in der Regel nicht so schwer gefoltert wurden. Sie mussten es ertragen, dass ihre Männer oft lange Zeit auf Missionsreisen oder auf der Suche nach einer sicheren Heimat von ihnen getrennt waren. Sie wurden durch die Verfolgung von ihren Kindern getrennt, oft wurden ihnen diese weggenommen, sobald sie abgestillt hatten. Im Berner Stadtrecht heißt es noch 1695:
„[daß hochschwangere Frauen der Wiedertäufer] biß zur niderkunfft und ihre kindt abzustillen (abzusöugen), sechs wochen lang geduldet …, hernach auch uß dem landt geschaffet, die kinder aber im land behalten und versorget werden sollindt; die anderen schwangern weiber, oder die nicht der Niederkunft nahe (nähig) sindt [sind wie die nicht Schwangeren zu behandeln]“

Jesus Christus schärfte Seinen Jüngern ein: „Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ (Matthäus 10,37). Wenn es um das Heil geht, werden den Christen oft schwerwiegende Entscheidungen abverlangt. Hab und Gut, Frau und Kinder, ja das eigene Leben selbst muss – wenn es erforderlich ist – um Jesu Willen aufgegeben werden. Uns erscheint das extrem und radikal, weil unser Glaube kaum vor diese Alternative gestellt wird. Hat Christus es wirklich so gemeint? Wie soll man antworten, wenn die Obrigkeit sagt: „Schwör Deinem Glauben ab, und Du kannst alles behalten – oder stirb und verlier alles, was Dir in diesem Leben lieb und teuer ist.“ Die Antwort darauf muss jeder selbst geben.

Der Weg zum Kreuz ist immer ein persönlicher Weg. Ein Weg an der Hand dessen, der ihn zuerst gegangen ist. Was wäre, wenn Jesus Christus im Garten Getsemane den bittern Kelch des Leides nicht angenommen hätte? Mit großer Angst hat er im Gebet gerungen und in Gottes Willen eingewilligt. Diese Angst bleibt auch den Seinen nicht erspart.

Im 20. Jahrhundert sind weltweit mehr Christen um ihres Glaubens willen getötet worden, als in allen Jahrhunderten davor zusammengenommen. Und jeder Märtyrer hat seinen eigenen Zweifel, seine eigenen Ängste vor Gott durchbeten müssen, um der Wahrheit sein persönliches Siegel aufzudrücken.
Viele der alten Täuferlieder sind Märtyrerballaden, die dieses Ringen immer neu in Erinnerung rufen.


Ein glimmender Docht

Im Sommer 2004 gedachte man in Tirol in besonderer Weise der aus ihrer Heimat vertriebenen Hutterer. Für die Schlossbergspiele Rattenberg schrieb der bekannte Autor Felix Mitterer ein Theaterstück, das in siebzehn Szenen den Weg ihrer Flucht bis zu ihrer heutigen Heimat in den Prairien Canadas und der USA nachzeichnet. Die Aufführungen fanden an genau dem Ort statt, an dem 70 Tiroler Täufer wegen ihres Glaubens hingerichtet wurden. Einer der Rattenberger Märtyrer – Leonhart Schiemer – beschreibt dieses unstete Wandern unter ständiger Bedrohung durch die Verfolgung in einem Liedtext so:
„Wir sein zerstreut gleich wie die Schaf, / die keinen Hirten haben. Verlassen unser Haus und Hof, / und sind gleich den Nachtraben. Wer sich nicht duld und heimlich schuldt. / In Felsen und Steinklüften Ist unser G’mach, man stellt uns nach / Wie Vögel in den Lüften.
Wir schweifen in den Wäldern um, / man sucht uns mit den Hunden. Man führt uns wie die Lämmlein stumm / Gefangen und gebunden. Man zeigt uns an vor jedermann / Als wären wir Aufrührer.
Wir sind geacht wie Schaf zur Schlacht / Als Ketzer und Verführer.“

In den USA und Kanada gibt es heute drei große Gruppen von Täufern, die zum Teil noch ihre alten deutschen Dialekte sprechen: Die Hutterer reden einen tirolerisch-kärntnerischen Dialekt, die Mennoniten Plattdeutsch, die Amish-People einen alten pfälzischen Dialekt. Ihre Kirchensprache ist oft noch Hochdeutsch.

Über die Jahrhunderte der Flucht und Unterdrückung haben sie weitgehend aufgehört, offen zu missionieren. Wenn das Feuer des Glaubens auch nicht ganz erloschen ist, sind sie vielfach nur mehr ein glimmender Docht, der möglichst wenig Berührung zu der Welt sucht, in der sie als Licht leuchten sollten. Wer kann es ihnen verdenken? Dennoch haben sie ihren Lebensstil und ihre Überzeugungen bewahrt und sind in ihrer Eigenart eine offene Anfrage an unsere Konsum- und Ellenbogengesellschaft.

Die hutterischen Kommunen sind aufgeblüht, das Leben dort ist frei von Konkurrenzkampf, Sorge um den Arbeitsplatz und Habsucht. Die Amischen zeigen, dass Fortschritt nicht alles ist. Sie wurden zum Inbegriff des Ideals vom „einfachen Leben“. Die Mennoniten werden aufgrund ihrer konsequenten Friedfertigkeit heute als „Friedenskirche“ bezeichnet.

Der Ball ist bei uns: Wo sind Christen heute noch eine Herausforderung? Merkt man bei uns etwas von der „Besserung des Lebens“? Welche christliche Kirche will sich als Alternative zur Gesellschaft präsentieren? Betrachten wir unser Liedgut, unsere Predigten: Sind Kreuz und Verfolgung ein Thema darin? Warum sollte es überhaupt ein Thema sein? Weil der Herr Jesus Christus selbst es als Thema in den Raum stellt, wenn er uns auffordert unser Kreuz zu nehmen, und in Seine Fußstapfen zu treten. Nicht die Täufer sollen wir imitieren, sondern Ihm nachfolgen – darin sind uns die Täufer ein Vorbild unter vielen anderen Christen seit den Tagen der Apostel.

Was gibt uns den Mut und das Durchhaltevermögen zu einem Weg ohne Kompromisse? Die Tatsache, dass Jesus Christus den Weg gegangen ist und dabei Welt, Sünde, Teufel und Tod überwunden hat. Er ist auferstanden, und in Seiner Auferstehung triumphiert die Gemeinde


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